Game Features: Die Gesellschaften (bekannt und geheim)

Societies

 

In letzter Zeit wusste Wilhem Alphorner einfach nicht mehr, was er denken sollte. Sein bester Freund Lothar Ollbarth distanzierte sich von ihm. Er verhielt sich wirklich sonderbar und schien nicht mehr er selbst zu sein. Sie waren schon immer Freunde gewesen, und Wilhem hatte nicht die leiseste Ahnung, was der Grund für all die plötzlichen Veränderungen sein könnte.

 

Nun gut, letzten Monat hatten Elsa, Wilhems Schwester, und Lothar geheiratet. Und was für eine Hochzeit das gewesen war! Es hatte viele Festlichkeiten und fässerweise Bier gegeben! Überall wurde getanzt… Ja, das war wirklich ein schöner Tag! Aber seitdem war nichts geschehen, was Lothar gegen seinen besten Freund hätte aufbringen können.

Es war seltsam und recht traurig. Selbst Elsa sprach nicht mehr mit Wilhem und schien ihn um jeden Preis zu meiden. Nichts schien Sinn zu ergeben, und Wilhem gewann mehr und mehr den Eindruck, dass es zwischen ihnen Dreien nie mehr wie früher sein würde…

 

Lothar wusste, dass er sich von seinem besten Freund abwenden musste. Aber dies war leichter gesagt als getan. Wilhem war wie ein Bruder für ihn. Und bei all den Veränderungen in seinem Leben brauchte Lothar ihn jetzt mehr als je zuvor. Aber damit war es nun vorbei. Für immer. Zum Zeitpunkt der Hochzeit hatte Lothar ja selbst nicht gewusst, dass er durch die Vermählung mit Wilhems Schwester mehr als nur den Bund der Ehe einging. Er wurde ebenfalls Mitglied eines Verbundes; einer Gemeinschaft – einer sehr mächtigen sogar – und er hatte dies alles nicht erwartet. Nie hätte er ahnen können, was alles geschehen würde, nachdem er seiner Braut das Jawort gegeben hatte.

 

Bereits seit vielen Jahren wurde in Lothars Familie ein schreckliches Geheimnis streng gehütet. Und dieses durfte er erst als verheirateter Mann erfahren – was auch erklärte, warum alle diese Dinge nach der Hochzeit mit Elsa geschahen. Die beiden waren sehr glücklich gewesen: Häufig waren Ehen nichts weiter als eine zweckdienliche Abmachung zwischen zwei Familien, bei der die Liebe zwischen Frau und Mann keine Rolle spielte und sich die zukünftigen Eheleute vor der Hochzeit nicht einmal kannten. Doch zwischen Lothar und Elsa standen die Dinge anders; sie kannten sich bereits seit frühester Kindheit. Doch nachdem er erfahren hatte, dass er nun einer Gemeinschaft angehörte, war alles anders. Hatte sein Vater dies alles schon lange im Voraus geplant? Die Hochzeit mit Elsa? Lothar würde es vielleicht niemals erfahren… Die Antwort war mit all den anderen Geheimnissen, die er von nun an wahren musste, im Nebel des Schweigens versunken.

 

An seinem Hochzeitstag war alles gut gegangen: Die Braut und der Bräutigam vollzogen die Zeremonie vor der Kirche und tauschten dann bei der Brautmesse vor aller Augen die Ringe und das Jawort aus. Kurz vor dem Beginn des Festes, dem ausgelassenen Tanzen und Trinken, hatte sich bereits etwas verändert, doch Lothar wusste noch nicht, was es war. Man konnte es in der Luft spüren. Nachdem die Worte gesprochen waren, sah er mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht zuerst seinen besten Freund Wilhem und dann wieder seine frischgebackene Ehefrau Elsa an. Es war ein wunderschöner Tag. Sofort danach nahm ihn sein Vater Erhard Ollbarth zur Seite und zog ihn am Arm in einen sehr kleinen, geheimen Raum hinter dem Altar. Und dort erfuhr er dann alles.

 

Der Raum war hinter einer Wand versteckt und sah aus wie eine geheime Bibliothek. „Vater, was hat das zu bedeuten? Warum sind wir hier?“, fragte Lothar.

– „Sohn, es gibt etwas, das du nun erfahren musst. Die Zeit ist gekommen. Du bist bereit.“

– „Bereit wofür? Ich verstehe nicht…“

– „Seit Jahrhunderten sind wir bereits ein Teil von etwas Größerem – etwas, das größer ist als wir alle. Und nun ist der Tag gekommen, an dem du alles erfahren und gemeinsam mit uns auch ein Teil davon werden sollst. Du bist Teil einer noch viel größeren Familie, als du bisher dachtest.“

– „Wovon genau redest du da? Müssen wir jetzt darüber sprechen? Auf meiner Hochzeit?“ Sein Vater wandte einen Moment den Blick ab. Er schien zu begreifen, wo sie waren, doch er sammelte sich und sprach weiter:

„Ja, es muss heute sein. Die Sache duldet keinen Aufschub. Du musst die Wahrheit über all das erfahren.“

– „Dann erkläre es mir, denn im Augenblick ergibt das alles keinen Sinn für mich.“

 

Und dann veränderte sich die Welt, wie Lothar sie bisher gekannt hatte, für immer. Sein Vater Erhard erzählte ihm alles über die Gesellschaft –­ eine große Organisation, der bereits die Vorfahren der Ollbarths angehört hatten. Es existierten viele andere Gesellschaften, obgleich niemand so genau darüber Bescheid wusste. Doch nur diese eine zählte wirklich. Es handelte sich um eine schändliche Gemeinschaft, spezialisiert auf nicht weniger als Schwarze Magie und blutige Rituale. Die Mitglieder glaubten an den Himmel und die Hölle, die von übernatürlichen Kreaturen wie Engeln und Dämonen bewohnt wurden – willenlose Diener auf der einen Seite und mächtige Werkzeuge auf der anderen. Anführer war ein sogenannter Erzmagier, der vor langer Zeit seinen Körper verlassen hatte.

Je mehr Erhard sprach, desto größer wurden Lothars Sorgen über seine und Elsas Zukunft. Was sollten sie von all diesem Unsinn halten? Wie würden sie damit umgehen?

 

Nach einer Weile beendete Lothars Vater seine Rede und blickte gedankenverloren ins Leere. Unsicher, ob er nun alles erfahren hatte oder ob weitere Informationen folgen würden, sah der Sohn seinen Vater an und wartete geduldig. Erhard Ollbarth setzte seine Erklärungen schließlich fort und erzählte alles über die Zugehörigkeit ihrer Familie zu der Gesellschaft.

„Und dies ist noch nicht alles, mein Sohn: Von nun an sind du und Elsa ein Teil davon und ihr dürft keiner Menschenseele etwas davon erzählen. Niemandem. Nicht einmal Wilhem. Denn sein Leben wäre ernsthaft in Gefahr. Aber dies ist vorerst alles, was ich dir erzählen kann; wir reden später weiter. Genieß den Abend!“

Und dann gaben sie sich die Hand und es war, als wäre nie etwas geschehen. Lothar brauchte eine Weile, um seine Gedanken zu ordnen, und verließ dann den geheimen Raum, um Elsa zu suchen. Er musste mit ihr sprechen. „Genieße den Abend“… Wie um alles in der Welt sollte Lothar den Abend genießen, nachdem sein Vater ihm solch unglaubliche Geschichten erzählt hatte?

 

Elsa erwies sich als mitfühlende Ehefrau; sie nahm ihre neue Zugehörigkeit an und unterstützte Lothar so, wie dieser es sich erhofft hatte. Bereits ein paar Tage später bestellte sein Vater ihn zu einem geheimen Treffen in den Höhlen der Stadt. Lothar hatte immer gedacht, die Höhlen wären allesamt zerfallen und nicht zugänglich, doch dort tagte tatsächlich der Rat der Stadt, der zu seinem Erstaunen zum größten Teil aus Mitgliedern seiner Gesellschaft bestand.

Das Treffen begann mit einem Gebet, das sehr an einen Zauberspruch erinnerte… und alles, was danach kam, glich eher einem Geschäftstreffen. In der Hauptsache handelte es sich um eine große Gruppe von Leuten aus allen Nachbarschaften. Das Spektakel war ziemlich beeindruckend. Alle Teilnehmer waren wichtige Leute, aber Lothar wusste jetzt, dass dies ein Bestandteil des Geheimnisses der Gesellschaft war: Alle halfen sich gegenseitig, um alle Außenstehenden zu übertreffen. Nach dem Treffen verschrieben alle Mitglieder ihre Seelen den Dämonenherrschern (von deren Existenz Lothar noch nie zuvor etwas gehört hatte). Wie sein Vater ihm auf seinem Hochzeitstag erklärt hatte, taten sie dies, um Macht zu erlangen. Eines war sicher: Nachdem er stundenlang den Worten der Mitglieder gelauscht hatte, wusste er, dass die Gemeinschaft keine Schwäche duldete und die Mitglieder ausnahmslos alles tun würden, um diese auszumerzen. Sie waren gesetz- und skrupellos und verfolgten kein geringeres Ziel als allumfassende Herrschaft. Dazu schmiedeten sie Pläne hinter verschlossenen Türen, mit einem Lächeln auf den Lippen, und zum Abschluss gaben sie sich die Hände wie Geschäftsmänner.

 

Selbst ein paar Stunden später ging Lothar ein Motto einfach nicht aus dem Kopf: „Macht ist alles, was zählt!“ Der junge Mann hatte noch viel nachzudenken, aber er konnte sich nicht des Gefühls erwehren, dass er all dies unheimlich aufregend fand. All das Wissen, die Geheimnisse und die gottlosen dämonischen Riten… Er könnte eine Menge Spaß haben! Und große Macht.

 

Lothar ging durch die Stadt, völlig versunken in Gedanken an die Schwarze Magie, Hexenmeister und Zerstörung. An der Kreuzung bemerkte er, dass Wilhem nur wenige Meter neben ihm stand. Die beiden standen einfach nur stumm da und blicken sich direkt an. Keiner bewegte sich, keiner lächelte. Ihre Freundschaft war vorbei. Doch nur Lothar kannte den wahren Grund, warum er und Wilhem nicht mehr die Brüder sein konnten, die sie einst waren.

 

Lothars Abenteuer mit dem Kreis der Magier hatte gerade erst begonnen.

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