Beruf: Der Grobhandwerker

Edmund ist wie jeden Morgen mit dem ersten Sonnenstrahl in seinem Zimmer erwacht. Er stieg aus dem Bett und ging langsam zum Fenster. Der Beginn eines neuen friedlichen Tages. So weit Edmund blicken konnte, sah er Felder, Bäume und Tiere. Und neben einer Straße war auch seine kleine Werkstatt. Ein weiterer Tag und all die Arbeit, die vor ihm lag … Es war immer das Gleiche. Alle Tage waren gleich.

 

 

Nachdem er sein dunkles grobkörniges Brot als (eine Art) Frühstück verzehrt hatte, zog sich Edmund an und ging zu seiner Werkstatt. Es war Zeit, an die Arbeit zu gehen – die halb fertigen Dolchen warteten schon in einer Ecke seiner Werkbank auf ihn. Er musste sich mit der Fertigstellung beeilen, wenn er seine Stammkunden bei Laune halten wollte. Danach musste er einen Haufen von Fackeln für einen neuen Kunden herstellen. Schnell. Neue Kunden … Edmund mochte das nicht, mochte das Unbekannte nicht, das Geheimnisvolle und das Gefährliche, das neue Kunden ausstrahlen konnten. Er war nicht gern ahnungslos. Edmund wusste gern, mit wem er es zu tun hatte. Dann gab es keine Geheimnisse. Keine Überraschungen. Er wusste gern, was der Tag für ihn bereithielt, und dabei war jedes einzelne Detail wichtig. Routine war wichtig. So konnte er alles kontrollieren. Das war in seinem Leben nicht immer so … Aber bestimmte Ereignisse in der Vergangenheit haben zu diesem Verhalten geführt. Denn Edmund konnte sich nicht leisten, nicht zu wissen, wie seine Tage verlaufen würden.

 

Es gab eine Zeit, da hatte er ein hübsches kleines Haus in einer anderen Stadt … weit, weit weg. Mit Stuck an den Wänden und einem blauen Dach. Das Haus war klein, aber es war seins. Edmund hatte damals einen anderen Beruf als heute, aber am Ende war alles das Gleiche. Er entwarf Stücke und stellte Gegenstände für etliche Kunden her. Nur dass es in seinem vorherigen Beruf eine besondere Kundin gab, von der er sich wünschte, sie nie kennengelernt zu haben …

 

Emilie … Sie war so wunderschön, dass Edmund nicht anders konnte, als sie anzusehen. Jeden Tag ging sie an seinem Betrieb vorbei. Zunächst schien sie Edmund nicht zu bemerken, aber nach einer Weile konnte Emilie nicht anders, als den Mann zu bemerken, der sie so sehnsüchtig anschaute. Edmund war nicht besonders attraktiv. Nicht im klassischen Sinne. Aber er hatte etwas Raues an sich, dass Emilie mit der Zeit zu gefallen schien. Die Blicke zwischen den beiden wurden immer länger, immer intensiver, aber sie sprachen nie ein Wort miteinander. Aber nach Monaten voller verlegener Blicken und schüchternem Lächeln ging Edmund endlich auf sie zu. Dann nahm die Geschichte ihren Lauf. Mit einem schüchternen „Hallo“ von Edmund und einem strahlenden Lächeln von Emilie. Von diesem Moment an ging es sehr schnell.

Es gab kleine Gespräche, immer in Eile … Kleine Unterhaltungen am Ende des Tages, die zu Treffen am Morgen UND in der Nacht wurden. Einige Wochen vergingen, und die kurzen Treffen wurden zu langen Spaziergängen und Gesprächen entlang eines Flusses auf dem Land. Die Treffen zwischen Edmund und Emilie fanden immer an ruhigen Orten statt, weit weg vom Stadtzentrum, wo man die beiden hätte sehen können. Edmund hatte sich nicht viel dabei gedacht. Immerhin war Emilie die Tochter eines einflussreichen Adligen der Stadt, und der junge Mann wusste, dass man sie nicht an seiner Seite sehen durfte. Also waren sie sehr vorsichtig … eine Zeit lang.

 

In einer ihrer geheimen Nächte trafen sich die beiden an ihrem Lieblingsplatz, unten am Fluss, um zu reden. Edmund brannte darauf, alles über seine Geliebte zu erfahren … Er wusste bereits, dass er sich Hals über Kopf in Emilie verliebt hatte, aber er wurde das Gefühl nicht los, dass sie nicht dasselbe für ihn empfand. Er stellte ständig Fragen, und sie antwortete, aber sie sagte nie viel und achtete genau auf ihre Worte. Edmund spürte, dass Emilie hin und her überlegte und ihre Worte genau abwog, bevor sie sprach. Aber das war in Ordnung. Er wollte rücksichtsvoll sein und sie zu nichts drängen, zu dem sie nicht bereit war.

„Ich sollte gehen“, sagte Emilie zum enttäuschten Edmund. „Es ist schon spät, und ich möchte nicht, dass mein Vater nach mir suchen muss.“

Traurig lächelnd stand Edmund auf und nahm Emilie bei der Hand.

„Na schön“, sagte er. „Lass uns gehen. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen in Schwierigkeiten gerätst.“

Aber gerade, als er sich vom Fluss abwenden wollte, sah Edmund einen Schatten, der sich hinter Emilie bewegte. Dann kamen mehrere Schatten auf sie zu, und bevor der junge Mann sich auch nur bewegen konnte und verstand, was gerade passierte, waren er und Emilie von Dutzenden von Stadtwachen umgeben. Eine Aufmerksamkeit von Emilies noblem Vater … Sie waren erwischt worden.

 

Diese Episode war nicht so dramatisch, oder? Allerdings enthielt sie eine ernstzunehmende Warnung: Edmund durfte Emilie niemals wiedersehen oder mit ihr sprechen … Edward konnte den Gedanken nicht ertragen, seine Geliebte niemals wiederzusehen. Er musste sie sehen, noch ein letztes Mal mit ihr sprechen. Also wartete er nach jener Nacht geduldig darauf, dass Emilie erneut an seinem Geschäft vorbeikam. Es dauerte einige Tage. Und dann war sie zurück und ging wieder einmal kokett lächelnd an ihm vorbei. Es war das Zeichen, auf das Edmund gewartet hatte: Auch sie wollte ihn wiedersehen. Auch sie konnte ihm nicht fernbleiben. Als der Abend kam, schloss er das Geschäft also früher als sonst und ging wieder zum Fluss, zu ihrem Lieblingsplatz. Ganz sicher war Emilies Spaziergang an seinem Geschäft vorbei eine Art Botschaft gewesen, ein Signal. Die beiden würden sich am Fluss treffen und alles wieder aufflammen lassen. Dieses Mal mussten sie nur vorsichtiger sein. Emilies Vater durfte nichts erfahren.

 

Als Edmund am Fluss ankam, sah er Emilie. Genau wie er sich es vorgestellt hatte. Sie war da, schön wie eh und je. Aber sie war nicht allein. Ein anderer Mann saß bei ihr und redete mit ihr. Der Mann sah sie auf die Weise an, wie Edmund es sonst getan hatte. Und Edmunds Herz zersprang in Tausend Teile. Er schlich sich leise an sie heran. Versteckte sich hinter einem Baum.

„Aber es ist doch vorbei, oder? Bitte sag mir, dass du es beendet hast“, fragte der geheimnisvolle Mann in bestimmendem Ton.

„Also … Es war eher mein Vater, der es getan hat. Oder seine Stadtwachen … Es war so unangenehm. Aber würdest du bitte aufhören, dir Gedanken um den armen Edmund zu machen? Ich habe es dir schon so oft gesagt: Das zwischen uns war nie ernst. Ich hatte nur etwas Spaß. Das ist alles.“

„Nun gut, es ist egal. Solange du mit diesem dummen Bauern Schluss gemacht hast! Jetzt können wir endlich heiraten!“

„Meinst du nicht, dass wir noch etwas warten sollten? Der Winter naht, und ich würde viel lieber im Frühjahr heiraten.“

„Ich glaube, wie haben lang genug gewartet“, antwortete der Mann. „Und du weißt, dass unsere Familien nicht länger mit der Hochzeit warten wollen.“

„Du hast recht“, sagte Emilie schwach. „Wir sollten sofort heiraten. Vielleicht haben wir lange genug gewartet.“

 

Der Mann lächelte und seufzte auf, beruhigt, dass Emilie einverstanden war, nicht länger zu warten. Eine Weile hatte er befürchtet, dass sie nach einem Weg suchte, die Heirat zu verhindern. Vielleicht hatte sie einfach nur Spaß mit diesem unbedeutenden Bauern, aber Edmund war nicht der Einzige. Es gab einige vor ihm.

 

Emilie sah jedoch nur schweigend zu, wie ihr Verlobter fortging. Sie musste einen Weg finden, diese Heirat zu verhindern. Sie dachte, dass er mittlerweile verstanden hätte, dass sie nicht bereit für eine Heirat war, obwohl beide Familien dazu drängten. Sie war überzeugt, dass ihr Verlobter ein guter Mann war. Aber sie liebte ihn nicht. Sie würde ihn nie lieben.

 

„Hallo, Emilie!“

 

Emilie sprang erschrocken in die Höhe, als sie Edmund sah.

„Oh mein Gott! Edmund! Was für eine Überraschung!“ Doch als sie sein verärgertes Gesicht sah, sagte sie: „Was machst du hier? Wie lange stehst du schon da?“

„… Gerade lang genug, meine wunderschöne Emilie!“, sagte Edmund mit einem ernsten Gesichtsausdruck. „Du wolltest also nur Spaß haben, richtig? In Ordnung. Ich zeige dir, was Spaß ist.“

„Edmund, warte!“ Bitte, ich kann es erklären. Was machst du …“

Emilie konnte nicht sprechen, Edmund drückte ihr die Hand auf den Mund, damit sie nicht schreien konnte. Draußen war es schon dunkel, also war er nicht besorgt, dass man ihn zu dieser Zeit erwischen würde.

„Du möchtest von mir loskommen!? Du wolltest dich nur ein wenig amüsieren, bevor du jemand anderen heiratest?! Versuch nur, abzuhauen, und ich zeige dir, wie man sich amüsieren kann! Du gehörst mir, Emilie, verstehst du das nicht? Ich werde dich niemals gehen lassen. Niemals!“

Edmund war aufgebracht, seine Hand immer noch auf Emilies Mund. Er überlegte, was er als Nächstes tun sollte. Was würde sein nächster Schritt sein? Emilie begann sich zu wehren und versuchte verzweifelt, sich von Edmund zu lösen. Aber der junge Mann ertrug es nicht, sie gehen zu lassen. Er konnte es nicht dulden, dass sie vor ihm wegrannte und allen erzählte, wie sie ihn zum Narren gehalten hatte. Emilie gelang es jedoch, sich von Edmund loszureißen. Als sie Edmunds Pferd sah, lief sie los und sprang in den Sattel, doch als das Pferd losgaloppieren wollte, stolperte es und Emilie fiel herunter und schlug sich dabei den Kopf heftig an einem Baumstamm.

„EMILIE!“

 

Edmund eilte zu Emilie, um zu sehen, ob sie in Ordnung war. Sein Herz setzte aus, als er sie bewusstlos mit ein wenig Blut an ihrem Kopf vorfand. Während er versuchte, der jungen Frau zu helfen, hörte Edmund Geräusche aus der Ferne. Jemand suchte nach Emilie. Ihr Verlobter? Ihr Vater? Die Wachen des Vaters? Sofort wusste Edmund, dass er fliehen musste. Er wusste nicht einmal, ob Emilie tot oder lebendig war, aber ihm war klar, dass er es nicht herausfinden durfte. Egal, was mit ihr passiert war, sie würden ihm die Schuld daran geben, und er wusste, er würde mit seinem Leben dafür bezahlen müssen.

Edmund stand auf und rannte weit, weit weg.

 

*

 

Emilie … Es liegt nun Jahre zurück. Alle diese Ereignisse, alle diese Gedanken waren immer in Edmunds Hinterkopf. Sogar nach all der Zeit konnte Edmund nicht vergessen – die Liebe, die Verletzungen, den unbeschreiblichen Schmerz, nicht zu wissen, ob Emilie überlebt hatte oder nicht. Das war alles gar nicht so geplant gewesen. Edmund wollte ihr einen Heiratsantrag machen. Obwohl eigentlich alles gegen ihn sprach, wollte er einen Weg finden, Emilie zu seiner Frau zu machen. Seine wunderschöne zukünftige Ehefrau. Aber man kann die Zukunft nicht immer vorhersehen.

Hier war er also, ein einfacher Grobhandwerker, ein Handwerker, der die Routine liebte und versteckt auf einem Feld lebte, das von einem Wald umgeben war. Alles war ruhig und friedlich. Edmund betrachtete die neue Fackel, die vor ihm lag, und hing weiter seinen Gedanken nach. Er musste das für seinen neuen Kunden fertigstellen. Eine Blase zerplatzte in seinen Kopf, und er dachte: „Was würde passieren, wenn mich jemand finden würde?“ Er nahm sein Werkzeug von der Werkbank und schüttelte seinen Kopf von links nach rechts. Nein, niemand konnte ihn finden. Richtig?